Sybil Volks: Wintergäste

Ein emotionengeladenes Familientreffen

Wenige Tage im Kreise der eigenen Familie – ohne Fluchtmöglichkeit. Wetter und Gezeiten sperren jegliche Ausweichmöglichkeiten aus, so müssen Menschen mit sehr verschiedenen Charaktereigenschaften miteinander auskommen. Zu dieser Situation kommt in „Wintergäste“ auch nur, weil aus Versehen die Todesnachricht der geliebten Mutter ihre mittlerweile erwachsene Kinder erreicht. Nun, Inge Boysen ist dennoch am Leben – von Krankheit geschwächt –, wie soll’s weitergehen? Haus Tide auf einer Insel im Norden wird von der Welt abgeschnitten und fast aussichtslos zugeschneit und zugefroren.

Die Erzählung bietet eine bunte Mischung menschlicher Abgründe, Meinungsverschiedenheiten wegen Fehlkommunikation, böse Zumutungen, Hass und Liebe, emotionale Auswegslosigkeit und doch einige Funken der Hoffnung. Insgesamt sehr spannende Themen, die zu lösen eigentlich unmöglich zu sein scheint, zumindest nicht an den wenigen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr.

Aus der Sicht der einzelnen Protagonisten werden die Probleme detailliert dargestellt. Zwischen den Zeilen versteckt sich eine große Portion Ironie, einige Szenen verleiten zum Schmunzeln, viele zum Nachdenken und zwar nicht nur den Leser, sondern auch die einzelnen Romanfiguren.

Das bunte Treiben im Haus Tide ist faszinierend. Mal kracht es, mal kommen romantische Erinnerungen auf, eine gewisse Magie wirkt ebenso mit, während Autorin Sybil Volks die Romanhelden auf dieser verschneiten „Überlebenstour“ zu einem unberechenbaren Ausgang der oft dramatischen Ereignisse lenkt. Nebenbei bewundert man ihre grandiose Beschreibungen der Naturerscheinungen von der einfachsten Eisblume bis zu den winterlichen Landschaftsbildern.

„Weihnachten ist vorbei, ein Wunder ist ausgeblieben…“, so die Autorin. Dennoch bleibt die Hoffnung für die etwas entgleiste Familie Boysen, einen Weg zu finden, um den Verstand nicht endgültig zu verlieren und all die festgefahrenen, alten Gedankenmuster loszulassen.

In diesem Buch gibt es vieles zu entdecken und dazu die großartige Gelegenheit, dank der unbeantworteten Fragen über einiges nachzudenken. Aufmerksames Lesen vorausgesetzt. Absolute Empfehlung für ein anspruchsvolles Lesevergnügen.

ISBN: 978-3423260800

 

Kurzer Auszug aus der Kommunikation mit der Autorin zum Thema offenes Ende. Meine Feststellung klang so: „Viele hier hätten es erwartet, dass alle Fragen beantwortet werden. Wenn man aber richtig aufmerksam liest, erkennt man bald, dass es niemals darum ging, ob Jochen und Gesa wieder ein Traumpaar werden oder ob Enno und Kerrin „das nordische Traumpaar“ bleiben. Waren sie es denn jemals?“

Die Antwort von Sybil Volks: „Freut mich sehr, das zu lesen, denn ja, genauso war es gedacht. Es geht nicht darum, hat Enno einen Tumor oder nicht, für wen entscheidet sich Gesa usw., sondern um die Erkenntnisse, zu denen die Einzelnen für sich selbst gelangt sind. Enno wird endlich seine Reise machen, Freiheit schnuppern, Berit wird ihren Ängsten zum Trotz ihr eigenes Buch schreiben, Gesa konzentriert sich jetzt erstmal ganz auf ihr Kind … Damit sind nicht alle Probleme gelöst, das Leben geht weiter – wie im richtigen Leben. Die Frage nach der Zukunft des Hauses wird beantwortet und tatsächlich, zwischen den Zeilen, auch der Ausgang der Wette (kleiner Tipp: Boys alter ego Kater Ahab spielt eine Rolle). Aber auch wenn man das nicht alles herausliest, wäre es schön, wenn jede für sich die Fragen beantwortet, je nachdem, wie sie die Figuren und ihren Weg bis dahin interpretiert …“

So sieht’s also aus.

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