Federica de Cesco: Der englische Liebhaber

Liebe und Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg

Federica de Cescos Roman fängt etwas betrübt an, mit traumatisierenden Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg, die sich in die Erinnerung einer alten Frau fest eingebrannt haben. Bald schildert die Ich-Erzählerin, Anna, ihre persönlichen, schrecklichen Erlebnisse: Zwei Zeitebenen verlaufen parallel; ältere Ereignisse ab 1944 werden aus Annas Perspektive dargestellt, Ereignisse ab 1988 dagegen aus Charlottes Perspektive, sie ist Annas Tochter. Was jedoch Anna tatsächlich erlebte, kann ihre Tochter erst aus den alten Tagebüchern und Tonbändern ihrer Mutter – nach deren Tod – endlich erfahren.

Die Geschichte stellt nicht nur eine komplizierte Liebesgeschichte dar, sondern sie reflektiert auch die zerstörerische Kraft des Krieges.

Die Szenen sind gefühlvoll und vermitteln eine stets zunehmende Antikriegsstimmung.

Annas Schicksal ist reich an wechselnden Emotionen: Es gibt bittersüße Momente, Glück, Hoffnung, Verständnis, aber auch reichlich Angst, Verzweiflung und letztendlich eine entschlossene Abrechnung mit den Widrigkeiten eines einzelnen Lebens.

Unter allen Umständen stellt die Erzählerin die Kraft einer wahrhaft leidenschaftlichen und über lange Jahre anhaltenden, hingebungsvollen Liebe in den Vordergrund, die stets Lebenskraft spendete, obwohl sie von äußeren Kräften in Grenzen gehalten wurde.

Die präzisen Beschreibungen bringen die Szenen nah. Die Grundstimmung ist melancholisch und in die allgegenwärtige Traurigkeit mischt sich nur gelegentlich ein Lichtblick. Die Spannung lässt dennoch nicht nach: Alte Geheimnisse, verdrängte Emotionen, politische Intrigen, Identitätssuche und der Umgang einer neuen Generation mit einer konfliktreichen, problematischen Erbschaft – das alles bietet „Der englische Liebhaber“.

Die Autorin überzeugt mit einer klaren, objektiven Sprache, wohldurchdachten analytischen Ableitungen zur angespannten Situation nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe ihrer authentischen Romanfiguren.

 

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