100 Jahre Leben von Kerstin Schweighöfer

100 Jahre Leben – Welche Werte wirklich zählen

Erfahrungsschatz eines Jahrhunderts aus erster Hand

Schon seit langem ist der Mensch auf der Suche nach den verborgenen Formeln für ein langes Leben. Man hofft immer auf einschlägige Erfahrungen, am besten aus erster Hand. Nun, wer findet die Gelegenheit dazu?

Hundertjährige kennenzulernen muss eine große Ehre sein und dazu noch eine Seltenheit. Man muss sich auch glücklich schätzen, wenn man in dieser Altersgruppe Gesprächspartner findet, mit denen ein vertrauensvolles, offenes Gespräch möglich ist. Intime Details inbegriffen. Kerstin Schweighöfer meistert in ihrem Buch mit dem Titel „100 Jahre Leben“ diese Herausforderung. Zehn Zentenare stellen sich in diesem biografischen Werk vor, die unterschiedlicher kaum sein können.

Die Autorin begegnet ihre Interviewpartner mit großem Respekt . Bei jedem Gespräch entsteht eine freundschaftliche Atmosphäre, die alten Menschen berichten mit einer erstaunlichen Offenheit über ihr Leben und teilen ihre Erlebnisse mit den folgenden Generationen. Kapitel für Kapitel entwickeln sich die fesselnden, bewundernswerten Lebensgeschichten, die größten Weisheiten werden dabei hervorgehoben und am Seitenrand jeweils gesondert abgedruckt. Dennoch fällt es schwer, eine allgegenwärtige Gemeinsamkeit zu finden.

Stattdessen bewundert man mehr und mehr die Einzigartigkeit dieser Menschen, ihre Kraft und letztendlich ihre Gelassenheit. Denn – ob bei Glanz und Gloria oder unter bescheidenen Verhältnissen – man trifft auf sehr bodenständige Individuen. Alle von ihnen waren Zeugen von Kriegen (den Zweiten Weltkrieg erlebten sie bewusster, als den Ersten), alle durften Gewinne feiern und Verluste erleiden. In ihren Erzählungen bewerten sie das Erlebte unterschiedlich. Die Autorin benutzt den Ausdruck „Erfahrungsschatz“. Treffender könnte man das gar nicht formulieren. Der persönliche Ton, die einfühlsamen Kommentare der Autorin und fröhliche Fotoaufnahmen machen diese Porträt- und Biografiesammlung noch wertvoller.

Alles in allem verdienen die Autorin und alle Hundertjährige große Dankbarkeit und Respekt für dieses außergewöhnliche, herzliche Buch.

ISBN: 978-3-455-50375-3

Fragen zum Buch an Kerstin Schweighöfer über lovelybooks.de

Mich beschäftigt die Frage, ob alle über 100-jährige die Erscheinung des Buches erlebt haben und wenn ja, wie es ihnen gefallen hat. Schließlich konnten sie in diesem Fall die Quintessenz ihres Lebens in Händen halten.

Das ist generell meine Erfahrung: Die Hundertjährigen sind regelrecht dankbar dafür, dass sich jemand für ihr Leben interessiert hat – und dass es dann in einem Buch verewigt wurde! Natürlich haben sie mir nicht von einem Tag auf den anderen alles erzählt, ich musste schon erst ihr Vertrauen gewinnen und mehrmals zurückkommen.

Wie lange haben denn die Reisen zu den älteren Menschen gesamt gedauert? Gab es auch mehrere Teilnehmer, die schließlich nicht ins Buch gekommen sind?

Alles in allem hat es eineinhalb Jahre gedauert, sie zu finden und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Manche Besuche waren umsonst, weil sie letztendlich doch nicht bereit waren, mir die wichtigsten Dinge aus ihrem Leben zu erzählen – die ja in der Regel auch die intimsten sind. Manche sind in der Vorbereitungsphase gestorben, was in diesem Alter nichts Ungewöhnliches ist. Ich hatte übrigens mehr als zehn – und dann eine Auswahl aus den interessantesten Lebensgeschichten getroffen. Es leben nicht mehr alle zehn – aber immerhin neun haben das Erscheinen des Buches noch mitgemacht. Drei sind verstorben – wer, das möchte ich erst verraten, wenn alle mit der Lektüre fertig sind.
Dass es mehr Frauen als Männer gibt, die hundert werden, liegt bei dieser Generation auch daran, dass die Männer auf den Schlachtfeldern Europas gefallen sind. Und dass die Frauen, was Trinken und Rauchen betrifft, noch nicht so emanizpiert waren wie heute – und deshalb gesünder und länger leb(t)en!

Meine nächste Frage betrifft Jeanne. Sie erzählt, dass sie in Paris während der Besatzung die „boches“ mied. Ihre starke Abneigung gegen die Deutschen war wohl nicht die beste Voraussetzung, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ist es denn anfangs schwer gefallen, mit ihr zu kommunizieren? Hat sie sich mit der deutschen Nation inzwischen versöhnt?

Jeanne war anfangs in der Tat etwas geschlossen, aber das liegt wohl eher daran, dass die Franzosen reservierter sind als etwa Hollaender. Am zweiten Tag taute sie auf. Den Eindruck, dass sie noch etwas gegen Deutsche haben koennte, hatte ich ueberhaupt nicht, den Krieg hat sie gut verarbeitet, Deutsche sind fuer sie zum Glueck laengst keine boches mehr…

Ob alle über 100-jährige die Erscheinung des Buches erlebt haben?

Mathilde ist kurz vor ihrem 100. Geburtstag gestorben, das Fest war schon vorbereitet, doch dann ist sie eines Abends einfach entschlafen. Ihre Tochter wollte ihr noch eine Tasse Suppe ans Bett bringen, doch da war sie schon tot. Pater Gola und Gretel sind Mathilde kurz vor Weihnachten (2015) gefolgt. Mit Gretel habe ich eine Woche vor ihrem Tod noch telefoniert, sie schien wohlauf, es ist ganz schnell gegangen…

 

 

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